Jérôme im Interview!
1.Warum wolltest du Spitzenkandidat der CSP werden?
Wir leben in einer Zeit, in der viele Gewissheiten, die wir als selbstverständlich betrachteten, infrage gestellt werden. Die vergangenen und aktuellen Herausforderungen, wie die Corona-Pandemie, Naturkatastrophen, geopolitische Konflikte und wirtschaftliche Unsicherheiten zwingen uns, zu erkennen, dass Freiheit und Wohlstand nicht mehr garantiert sind. In dieser ernsten Lage müssen wir uns auf das Wesentliche konzentrieren, um Ostbelgien auch in Zukunft „hinzukriegen.
Ich betrachte es als meine Verpflichtung, etwas an meine Heimat Ostbelgien zurückzugeben. Dieses Ge- fühl der Verantwortung gegenüber den Menschen hier führt mich dazu, auch politische Verantwortung zu übernehmen, ob vor einigen Jahren als Fraktionsführer im PDG, vor zwei Jahren als Bürgermeister der Gemeinde Raeren oder jetzt als Spitzenkandidat der CSP für das Amt des Ministerpräsidenten. Ostbelgien benötigt einen Wandel, und ich bin überzeugt davon, dass ich diese Veränderungen gemeinsam mit meiner Partei bewirken kann.
2. Welche Erfahrungen bringst du mit?
Auẞerhalb der Politik war ich jahrelang als Lehrer tätig, weswegen ich den Bildungssektor und seine Probleme aus erster Hand kenne. In der Politik habe ich viele Jahre neben meinem Beruf als Lehrer auf verschiedenen Ebenen Erfahrungen gesammelt. Als langjähriges Mitglied des Gemeinderates in Raeren kenne ich die Probleme der Gemeinden. Diese wichtigen Erfahrungen der lokalen Arbeit erlebe ich nun schon seit zwei Jahren als Bürger- meister der Gemeinde Raeren.
Als ehemaliges Mitglied des Parlamentes der deutschsprachigen Gemeinschaft, wo ich unter anderem als Fraktionsvorsitzender tätig war, kenne ich auch die Arbeit auf gemeinschaftlicher Ebene. Als Bürgermeister ist man jeden Tag damit beschäftigt, die kleinen und die groẞen Probleme der Bevölkerung zu lösen. Hier ist schnelles und lösungsorientiertes Handeln gefragt. Sonntagsreden über Problemlösungen nützen dabei nichts. Viele Dinge sind auch mit der Ebene der Deutschsprachigen Gemeinschaft eng verzahnt. Anders gesagt: in vielen Bereichen ist eine Gemeinde auf die Rahmenbedingungen der DG angewiesen und es be- darf dabei einer fast täglichen Absprache mit der Regierung der DG. Es geht genau um diese Rahmenbedingungen, an denen ich mitarbeiten möchte. Aus dem Blickwinkel eines Bürgermeisters weiẞ ich sehr wohl, was funktioniert und was nicht. Diese Erfahrung als Bürgermeister ist extrem wichtig, um in einer Regierung die richtigen Entscheidungen zu treffen und die Prioritäten endlich wieder anders zu setzen.
3. Was bedeutet der Satz "Prioritäten endlich wieder anders setzen"?
Wir müssen das Wesentliche unserer Gesellschaft verstärkt in den Blick nehmen und da-
für sorgen, dass diese Bereiche einwandfrei funktionieren. Als Bürgermeister muss ich jeden Cent dreimal umdrehen, bevor ich ihn ausgebe. Wir können nicht immer und ewig alles mit neuen Schulden finanzieren. Die fast 800 Millionen Schulden der DG sind da ein echter Klotz, den unsere Kinder noch zurückzahlen müssen. Es gibt Bereiche, um die müssen wir uns kümmern. Alles andere ist eben nur dann auch möglich, wenn wir uns dies leisten können. Für mich und die CSP Ostbelgien zählen zu den wichtigen Bereichen eine effiziente Kinderbetreuung, zeitgemäẞe Bildungsstandards, die unsere Kinder für die Zukunft rüsten, die Möglichkeit, den Traum vom Eigenheim zu verwirklichen, die Stärkung von Handwerk und Landwirtschaft als grundlegende Säulen unserer Gemeinschaft, ein würdevolles Altern und ein reichhaltiges Angebot an Sportvereinen, ehrenamtlichen Tätigkeiten und kulturellen Aktivitäten. All dies sollte so unkompliziert und zugänglich wie möglich sein, ganz ohne unnötige Bürokratiehürden, um das Wohlbefinden und die Lebensqualität jedes Einzelnen zu fördern.
4. Warum braucht unsere Heimat politische Veränderung?
Die jetzige Regierung ist seit 20 Jahren so zusammen. Für jede Demokratie ist es wichtig, dass sich Regierungen auch erneuern, um Stillstand und fehlende Kreativität zu vermeiden oder Lust auf neue, sinnvolle Ideen zu schaffen. Wenn Regierungen beginnen, vor sich hin zu dösen, übernimmt die Verwaltung und macht den Menschen bei vielen Dienstleistungsangeboten das Leben eher schwerer. Wir bezeichnen das als "Bürokratiedemokratie". Nicht die Norm muss den Menschen formen, sondern der Mensch die Norm. Wir hören immer häufiger: "Das geht leider nicht, da die Norm X oder derParagraph Y dies nicht zulässt." Normen kann man in demokratischen Prozessen jedoch an die Bedürfnisse der Menschen und der Gesellschaft anpassen. Das geschieht aber nach 20 Jahren Regierung nicht mehr, oder viel zu wenig. Und es gibt Politikbereiche, die uns Sorgen bereiten: die Kinderbetreuung befindet sich in einem eher chaotischen Zustand, Studien von OECD und Piller&Born zeigen, dass das ostbelgische Bildungssystem sein volles Potenzial nicht ausschöpft und weit hinterherhinkt, der Traum vom Eigenheim wird durch hohe bürokratische Hürden und einem immensen Preisanstieg erschwert, das Handwerk und die Ausbildung werden nicht ausreichend gefördert, der Pflegesektor leidet unter chronischer Unterfinanzierung und einem akuten Fachkräftemangel, mit der Konsequenz, dass unsere Einrichtungen nur sehr eingeschränkt neue Personen aufnehmen können. Dies ist seit über 20 Jahren bekannt, und dennoch hat sich nicht wirklich was geändert.
5. Was ist deine Vision für Ostbelgien? Wie siehst du unsere Heimat in zehn Jahren?
Ostbelgien ist heute schon ein guter Ort zum Leben. Die eben beschriebenen Herausforderungen und Probleme werden aber dazu führen, dass die Lebensbedin- gungen hier in der DG nicht mehr den hohen Erwartungen der Menschen entsprechen. Hinzu kommt noch, dass unsere Gesellschaft und die Wirtschaft durch den Klimawandel und durch sich beschleunigende Digitalisierungsprozesse dazu gezwungen werden, sich kurz-, mittel- und langfristig zu verändern. Diese Veränderungen, insbesonderewas den Klimaschutz betrifft, sollten nahe bei den Menschen stattfinden und nicht oder möglichst wenig von oben herab verordnet werden. Dabei ist es für uns als kleine Gemeinschaft enorm wichtig, dass die Grundpfeiler wie Pflege im Alter, die Krankenhäuser, die Kinderbetreuung, der Unterricht oder auch das exzellente ostbelgische Handwerk sehr gut funktionieren. Daher müssen wir alles daransetzen, dass dies klappt und uns jeden Tag anstrengen, in diesen Schlüsselbereichen die besten Bedingungen zu schaffen. Dafür hat niemand einen Zauberstab. Das geht aber über harte Arbeit und die richtigen Prioritäten. Wir nennen das "sich ums Wesentliche kümmern". Wenn wir das schaffen, lebt es sich in Ostbelgien auch im Jahre 2034 noch sehr gut. Dies ist die Aufgabe, der wir uns bereits heute in den Gemeinden, im PDG und im Europaparlament stellen. Wir sind entschlossen, 2024 auch Regierungsverantwortung in der DG zu
übernehmen, um dieses Ziel zu erreichen.
6. Was zeichnet dich als Person aus?
Ich betrachte mich als unaufgeregten und ruhigen Menschen. In der Politik gibt es viele laute, öffentlichkeitsliebende Personen, die viel Wert auf Präsenz und Aufmerksamkeit legen. Dieser Stil steht im Gegensatz zu meiner Persönlichkeit. Mir geht es um sachliche und themenorientierte Arbeit. Durch lautes Schreien oder pure Alleingänge werden die wenigsten Probleme gelöst, insbesondere nicht die wichtigen. Die Kompromissfindung und das Arbeiten im Team stehen für mich im Vordergrund. Die Politik ist keine One-Man-Show, im Gegenteil, es bedarf eines starken und kompetenten Teams im Hintergrund. Die dicken Bretter, die gebohrt werden müssen, lassen sich meiner Meinung nach nur so lösen. So funktioniere ich als Bürgermeister, so wür- de ich auch in einer Regierungsmannschaft funktionieren.
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